Microhabits? – Wir sind was wir wiederholt tun!

Microhabit, Routine, Wiederholung

Gewohnheiten formen Charakter – Ein zeitloses Prinzip moderner Führung

 

„Wir sind, was wir wiederholt tun. Vorzüglichkeit ist daher keine Handlung, sondern eine Gewohnheit.“

Was Aristoteles vor über zwei Jahrtausenden formulierte, entfaltet heute mehr denn je seine Relevanz – in der Psychologie, Pädagogik, Trainingswissenschaft, im Mentaltraining und insbesondere in der Führungskräfteentwicklung. Dabei ist Vorzüglichkeit kein Perfektionismus, vielmehr der Wille zum aktiven Gestalten.

Der antike Philosoph erkannte etwas Fundamentales: Unsere Identität formt sich nicht durch einmalige Entscheidungen oder spektakuläre Handlungen, sondern durch die Summe unserer kleinen, wiederkehrenden Handlungen („Microhabits“). Gerade in Kontexten, in denen Menschen Verantwortung tragen – ob im Management, im Einsatz oder in kritischen Teamsituationen – verdient dieser Umstand besondere Beachtung.

 

Wiederholung als Schlüssel zur Exzellenz?

„Consistency is key“ wie es so schön heißt: Moderne Erkenntnisse aus der Neuro- und Kognitionswissenschaft bestätigen, was Aristoteles intuitiv beschrieb. Unser Gehirn ist plastisch – es verändert sich fortlaufend durch Erfahrung, Training und Reflexion. Fähigkeiten entstehen nicht durch einmalige Impulse, sondern durch kontinuierliche Wiederholung und bewusste Steuerung unserer Routinen. Es sind eben genau diese bewussten Routinen die langfristig tragen können, oder ruinieren, wenn wir sie nicht lenken.

Dies gilt im Coaching wie im Einsatztraining gleichermaßen: Die Fähigkeit zur Selbstführung, zur Resilienz oder zur Klarheit in stressbelasteten Situationen basiert auf erlernten Mustern. Wer regelmäßig reflektiert, trainiert und neue Impulse aufgreift, baut nicht nur Wissen auf, sondern formt aktiv Haltung und Kompetenz. Und dieses Erlernen von Mustern können wir uns zu Nutzen machen, statt unbewusst im Autopiloten durch Leben zu fliegen.

 

Gewohnheit als Führungsinstrument

Für Führungskräfte bedeutet das: Vorbildliches Handeln ist kein Zufallsprodukt, sondern ein Ergebnis bewusster Gewohnheiten. Ob „Führen durch Vorbild“, Feedbackkultur, Entscheidungsstärke oder empathische Kommunikation – sie alle sind trainierbar und erlernbar. Wer Führung ernst nimmt, sollte sich weniger auf kurzfristige Motivation verlassen, sondern vielmehr auf nachhaltige Disziplin und Routinen setzen. Und das ist vorbildlicher als einen Schein zu wahren.

Der nächste Schritt: Haltung entwickeln

Gerade im Coaching von Einsatz- und Führungskräften geht es selten nur um „Techniken“, sondern zunächst um eine innere Haltung, unseren Zustand. Diese Haltung entsteht aus dem, was wir täglich praktizieren – im Denken, Fühlen, Sprechen und Handeln. Wer Exzellenz will, muss Exzellenz leben – Stück für Stück, bewusst und wiederholt: Kleine Impulse und Routinen, hochfrequent und hochwertig praktiziert.

 

Wissenschaftliche Fundamente: Warum Wiederholung wirkt

Die moderne Verhaltensforschung liefert heute die empirische Basis für das, was Aristoteles einst philosophisch formulierte. Besonders hervorzuheben ist das Fogg Behavior Model. Es besagt, dass ein Verhalten dann entsteht, wenn Motivation, Fähigkeit und ein Auslöser gleichzeitig zusammentreffen. Entscheidend ist dabei nicht die reine Willenskraft, sondern die Gestaltung der Umgebung und der Einstiegshürde.

Fogg zeigt bspw. in seinem Buch Tiny Habits (2019), dass nachhaltige Verhaltensänderung nicht durch große Vorsätze, sondern durch winzige, leicht umsetzbare Gewohnheiten entsteht. Diese sogenannten „Microhabits“ setzen meist an bestehenden Routinen an, sind leicht umsetzbar und werden bestenfalls durch eine kleine positive Emotion – etwa ein inneres „Yes!“ als positiver innerer Dialog verstärkt.

Das kennen wir beispielsweise auch aus dem sportlichen Training: einen Marathon- Wettlauf werden wir uns auch nicht am ersten Trainingstag als Ganzes vornehmen, sondern dosiert, regelmäßig und progressiv trainiert, sprich aufbauend. Ersteres führt zu einer Überforderung. Nichts zu tun führt zur Unterforderung/ bestenfalls Stagnation. Regelmäßig, bewusst dosiert und progressiv trainiert, führt jedoch zur richtigen Aktivierung für eine Anpassung – sprich Entwicklung. Diese motiviert uns, wenn wir sehen, dass wir selbstwirksam die anfänglich erdrückende Distanz langsam aber stetig meistern können. Und was das Potential hat uns zu erdrücken, kann uns, intelligent angegangen, auch beflügeln und jegliche Ziele erreichen lassen. Wie Prof. Fogg es zu sagen wusste: es liegt an der Gestaltung der Umgebung und der Einstiegshürde:

 

„Menschen verändern sich nicht durch Schuldgefühle, sondern durch Erfolgserlebnisse.“

– Brian Jeffrey Fogg

 

Auch die Neuroplastizität des Gehirns unterstützt diese Sichtweise: Wiederholte Handlungen stärken neuronale Verbindungen – ein Prinzip, das in der Lernpsychologie als Hebb’sche Regel bekannt ist: „Neurons that fire together, wire together.“ Und was zusammen vernetzt ist, sich über regelmäßige und stärkende Routinen weiterentwickelt, wird immer stärker. Die erlernten Fähigkeiten/ Vernetzungen werden von anfänglichen kleinen Pfaden zu regelrechten „neuronalen Autobahnen“. Es wird ergo immer leichter ein bestimmtes Verhalten abzurufen, wenn es nur regelmäßig in hoher Frequenz und hoher Qualität (bewusst) getan/ gedacht/ gefühlt wird. Und das ist bemerkenswert!

 

Egal, ob wir die die Dinge bewusst oder unbewusst tun und erleben – was wir wiederholt machen, verstärkt sich!

 

 

„So bin ich halt“

Dass unser Leben weit weniger zufällig ist, als wir glauben, weiß Prof. Dr. Eva Asselmann in ihrem Buch „Woran wir wachsen“ zu berichten:

 „Welche Erfahrungen wir machen, hängt von unserer Persönlichkeit ab. Diese wirkt sich unmittelbar auf unser Denken, Fühlen und Verhalten und somit auf alle Aspekte des Alltags aus. Wie wir sind beeinflusst, ob wir eine höhere oder geringe Wahrscheinlichkeit haben, bestimmte Erfahrungen im Leben zu machen.“

(Asselmann, 2022, S.22)

Das wirft den Gedanken auf, dass das, was wir erleben wiederum unsere Persönlichkeit mit entwickelt, was wiederum beeinflusst was wir erleben usw. Ein Kreislauf in dem wir uns selbst bestätigen, dass die Welt und unsere Mitmenschen so sind wie sie sind – oder wie wir uns selbst glauben machen? Wir erschaffen uns gewissermaßen auch unsere eigene Wirklichkeit oder können ihr zum Opfer fallen.

Zurück zur „Realität“, wir sind was wir wiederholt tun:

 

Beispiele: Wie wir durch Wiederholung werden, was wir tun

Jeder Kadett einer westlichen Offizierschule kennt ihn wohl, den Ausspruch und Buchtitel „Make your bed“ von Admiral McRaven. Denn wie er treffend formuliert, sind es die kleinen alltäglichen Dinge, die unserer Macht liegen, die wir zunächst angehen sollten. Denn mit diesen „little things that can change your life“ begonnen, kann damit als bewusstes Verhalten vielleicht weit mehr als das Bett erreicht werden- „maybe the world“?

Auch hier lässt sich Herr Fogg wieder hinzuziehen: Welche Umgebung schaffe ich/ in welche Umgebung begebe ich mich (bewusst)? Wie hoch ist die Einstiegshürde? Habe ich ein schnell zu erreichendes Erfolgserlebnis, das ich selber wahrnehme und mit selbst bestätigen kann?

 

Ein paar Beispiele gefällig?

#1.1 GEMBA im Führungsalltag

Eine Führungskraft hat es sich zur bewussten Routine gemacht, jeden Donnerstag für mehrere Stunden im Blaumann in die Produktion zu gehen, um dort am „realen Ort“ des Geschehens einen umfassenden und praktischen Eindruck seines Verantwortungsbereiches zu bekommen, selbst mitzuwirken und mit Mitarbeitenden ins Gespräch zu kommen. Diese Routine schafft tiefes Vertrauen, liefert Informationen über die tatsächlichen Abläufe, Strukturen, Aufgaben und Beweggründe von Prozess und Mensch. Statt ausschließlich am Schreibtisch zu managen und zu planen, lebt diese Führung gewissermaßen vom „Blick ins Gelände“ wie man so schön sagt.

 

#1.2 bewusste Kommunikationskultur

Ein Einsatzoffizier entscheidet sich, jeden Morgen nach/ mit dem ersten Kaffee zwei Minuten bewusst zuzuhören, bevor er/ sie spricht – sei es in der Lagebesprechung oder im Einzelgespräch. Diese Mini-Gewohnheit (Microhabit) wird zur Routine. Nach wenigen Wochen berichtet das Umfeld von mehr Vertrauen, besserem Klima und höherer Klarheit. Die Führungskraft hat durch eine kleine, wiederholte Handlung eine neue Identität aufgebaut: eine zugewandte, präsente Führungspersönlichkeit. Eine Mini- Routine mit maximalem Impact.

 

# 2.2 erdrückende Terminflut

Eine Projektleiterin klagt über die Fülle ihres Terminkalenders und dass jeder ihr Termine einstelle, an denen sie teilnehmen müsse. An der Tatsache eines vollen Terminkalenders und der regen „Nachbefüllung“ durch Kollegen ändert sich wochenlang nichts. Die zwei Aspekte des Teufelskreislaufes, 1. die Termindichte und 2. das Klagen darüber, verstärken sich gegenseitig und erschaffen eine immer erdrückender wahrgenommene Terminflut, die einer Sisyphusarbeit gleicht, da sie durch keine bewusste Intervention geändert wird.

 

#2.2 schleichende Erosion durch Multitasking

Ein Einsatzleiter beginnt, während Besprechungen regelmäßig E-Mails zu checken – anfangs aus Zeitdruck, später aus Gewohnheit. Die Aufmerksamkeit sinkt, Signale werden übersehen, Entscheidungen wirken fahrig. Das Team spürt die Abwesenheit. Was als Ausnahme begann, wird zur Identität: ein abgelenkter Entscheider, der nicht wirklich präsent ist. Auch das ist Wiederholung – nur in die falsche Richtung.

Vielleicht fallen Ihnen auch Beispiele ein, die sich positiv oder negativ, schleichend oder bewusst in Ihr (Berufs-) Leben eingeschlichen haben?

 

Aufwachsen durch Aufwachen: Die Rolle der Selbstreflexion

Wiederholung allein genügt nicht – sie braucht Bewusstheit. Wer sich regelmäßig fragt: „Was tue ich da eigentlich – und warum?“, schafft schon einen Raum für Entwicklung. In der Coachingpraxis sprechen wir hier vom Aufwachen im Tun: Der Moment, in dem Routine zur Erkenntnis wird. Was dafür benötigt wird, ist Bewusstheit über unsere (teilweise noch) unbewussten Gedanken, Emotionen und Handlungen. Dieses Bewusstsein bildet gewissermaßen den Rettungsanker gegenüber dem „Autopiloten“. Und das ist essenziell: Im Gegensatz zur Erziehung/ Bildung, die wir (hoffentlich) als Erwachsene in die eigene Hand nehmen, ist die Sozialisation, also die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt, nicht zielgerichtet. Und was nicht zielgerichtet ist, hat auch nicht unbedingt die Richtung die wir wollen.

Das Modell der Selbstwirksamkeit nach Albert Bandura ergänzt diesen Gedanken: Menschen, die erleben, dass ihr Handeln Wirkung zeigt, entwickeln Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Veränderung. Für mich ein zentraler Hebel im Coaching und in der Führungskräfteentwicklung.

 

Fazit: Opfer oder Gestalter der Realität?

Ob in der Einsatzleitung, im Coaching oder in der Führung – wir wachsen nicht durch große Sprünge, sondern durch viele kleine, bewusste Schritte. Wer Exzellenz leben will, beginnt mit dem, was er/ sie täglich tut. Wie BJ Fogg es formuliert:

 

„Die Essenz von Tiny Habits ist: Nimm ein Verhalten, das du willst, mach es winzig, finde seinen Platz im Alltag – und lass es wachsen.“

 

Oder anders: wir entscheiden, was zu uns wird, was unsere Wahrnehmung bestimmt und was uns wachsen oder eingehen lässt.  Wir bestimmen selbst, was unsere Auf- und Abwärtstrends im Alltag sind. Es ist der Kontrast zwischen Opferrolle und Verantwortungsübernahme: Entweder sprechen wir mit der „Abwärtssprache“ und deren Konsequenzen

 

  • „So wurde ich konditioniert.“
  • „So war es schon immer.“
  • „Was soll man da machen?“
  • „Meine Eltern haben das immer…“

und zementieren damit weiter, dass „alles schon immer so war“.

 

Wir können aber auch bewusst aus der Opferrolle herauskommen und die „Aufwärtssprache“ sowie die nächsten kleinen Schritte (Handlungen) wählen, die in unserer Kontrolle liegen, unsere Microhabits.

Wir sind das was wir wiederholt tun, wenn keiner hinsieht, die vielen kleinen Dinge unserer Gewohnheiten die unseren Charakter formen.  Wir können dies für unser Leben beeinflussen, entweder als Opfer oder als Gestalter.

 

 

Quellen:

Asselmann: Woran wir wachsen. Welche Lebensereignisse unsere Persönlichkeit prägen und was uns wirklich weiterbringt. 2022.

Bandura: Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191–215. 1977.

Bandura: Self-efficacy: The exercise of control. 1997.

Deci; Ryan: Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55(1), 68–78. 2000.

Fogg: A behavior model for persuasive design. In Proceedings of the 4th International Conference on Persuasive Technology. 2009.

Fogg: Tiny Habits: The Small Changes That Change Everything. 2019.

Krauss: Künstliche Intelligenz und Hirnforschung. Neuronale Netze, Deep Learning und die Zukunft der Kognition. 2022.

Weineck: Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. 2002.

West; van Stralen: The behaviour change wheel: A new method for characterising and designing behaviour change interventions. Implementation Science, 6(1), 42. 2011.

 

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