Human Performance Optimization (HPO) stößt oft bereits am Start an ihre Grenzen. Den Sieger erkennt man am Anfang heißt es im Performancecoaching oft. Selbstoptimierung hat ihren Platz. Wenn uns jedoch alte, unbewusste Muster, Ängste oder Zwänge noch immer im Griff haben (uns führen), führen wir uns nicht selbst. Dann optimieren wir fleißig den Status Quo, ohne zu wissen weshalb. Oder zumindest in die falsche Richtung. Blut, Schweiß und Tränen also wofür genau?
Too long, didn’t read? Bottom line up first!
Keywords: Selbstführung, Authentizität, Selbstoptimierung, innere Werte, Führungskompetenz, mentale Stärke, Coaching, Flow |
Fangen wir also tatsächlich am Start an: Die wichtigste Frage ist nach dem „Warum?“. Warum soll weiter an der Performance- Schraube gedreht werden? Was ist dann anders als vorher? Was wäre dann möglich? Viele dieser Fragen werden iterativ und zirkulierend im professionellen Coaching angewendet, um den eigentlichen Absichten, den Ur- Sachen auf den Grund zu spüren.
Nach Simon Sinek ist unser „Why“ unser persönlicher Beitrag zur Welt – der Sinn, der uns antreibt.
Wenn wir ihn kennen, treffen wir klarere Entscheidungen, bleiben motiviert, ziehen Menschen und Chancen an, die zu uns passen, und erleben mehr Erfüllung. Am Start also blinden Aktionismus hinzulegen, ohne den Sinn, das Why zu kennen, ist auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Oder anders ausgedrückt:
„Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, um ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten damit verbringen, über das Problem nachzudenken und 5 Minuten über die Lösung.“
– Albert Einstein
Einsteins Überlegung steht stellvertretend für Sinek’s Idee: Erst das „Warum“, dann das „Wie“. Aber Obacht! Natürlich sollten wir uns nicht ausschließlich um „das Problem“, wie Einstein es nannte, kümmern.
Vielmehr kann sein Gedanke aber verstanden werden als ein zielgerichteter Prozess, der sich systematisch mit den Gründen, Bedürfnissen, Absichten befasst, bevor eine Änderung dann effektiv und effizient umgesetzt wird.
Simple statt easy
Das klingt ja alles sehr einfach, könnte man denken. Dies in die Tat umzusetzen und dann simple zu befolgen ist doch nicht so easy wie es sich anhört. Ohne die dahinterliegenden und oft unbewussten Motive, Bedürfnisse oder inneren Bilder[1] zu erforschen und ins Bewusste zu holen, bleibt alles andere, im wahrsten Sinne oberflächlich. Und das ist es was Selbstführung mitbringt: die Notwendigkeit eines „deep dive“. Erst herausfinden warum und wofür eine bestimmte Veränderung (optimization) angestrebt wird, dann folgt die Umsetzung (training).
Diese Erfahrung habe ich in meiner jahrelangen Tätigkeit als Trainer gemacht. Trainingsplanung kann nur zum Scheitern verurteilt sein, wenn der angestrebte Endzustand (z.B. Europameister) inneren Antreibern und Ängsten (z.B. nicht genug zu sein) entspringt, oder die in- dividuellen Rahmenbedingungen nicht umfassenden betrachtet wurden. Die Trainingsplanung und -steuerung ist dann die einfachere, „rein fachliche“ Umsetzung. Athleten können durchaus ihre Leistung abrufen und hart trainieren (Blut, Schweiß Tränen), am Ende aber nicht die Erfüllung auf dem Siegertreppchen verspüren, die sie sich langfristig ersehnt hatten; oder gar innerlich durch eigens gemachten Druck erkranken obwohl sie körperlich topfit sind. Oder denken wir an die vielen, vielen Menschen auf dem Weg zur Spitze die da „hinein geschoben“ worden.
Wo liegt also oft das „Problem“?
Am Anfang. Wie tief dies reicht, habe ich lange nicht verstanden, geschweige denn auf einem fachlichen Trainerlehrgang vermittelt bekommen. Dafür sind weitreichendere Kenntnisse und Erfahrungen über uns und unserer mentalen Dynamiken notwendig, die über sportliche Fachlichkeit weit hinaus geht.
Ein plakatives Beispiel
Wir könnten einen Affen trainieren und drillen. Er wird das durch die Grundsätze der Ausbildungslehre und Psychologie können, was wir wollen. Dass er das außergewöhnlich „gut“ macht, können wir schwer beeinflussen. Sollte er von uns in allem trainiert und optimiert worden sein, ohne sein Selbst in Resonanz zum angestrebten Zielzustand zu haben, ist er gefangen in den Routinen die wir ihm beigebracht, sprich an- trainiert, an- erzogen haben. Und wir müssen dies mit einem enormen (Leistungs-) Druck aufrechterhalten. Effektiv vielleicht, aber alles andere als effizient. Die Ressourcen dafür hätten an einer anderen Stelle bestimmt mehr Impact gehabt. |
Es kann von Selbst- Führung also keine Rede sein, wenn wir uns schön optimierte Routinen aufbauen um irgend worin besser zu werden, wenn wir innerlich nicht stimmig sind zu der (neuen) Rolle, aber alles mit Druck getan haben um reinzupassen. Und wenn wir das dann noch mit Unterstützung zahlreicher Berater und Coaches versuchen, werden wir alles andere als selbst- geführt, alles andere als authentisch, spricht echt. Außer- gewöhnlich heißt in diesem Zusammenhang im wahrsten Sinne echt, sprich in- dividuell zu sein.
Authentizität, Stimmigkeit, Echtheit?

Die meisten Symptome die Menschen in hoher Verantwortung, wie bspw. Burnout, Einschlafprobleme oder innerer Unruhe (overthinking) haben, rühren nicht zwangsläufig von Stress allein her. Es ist auch eine Frage, wie wir Belastung empfinden, wahrnehmen, und welche Strategien wir im Umgang damit haben. Und es ist auch eine Frage, was wir uns für inneren Druck zusätzlich machen. Das Klischee, alle erfolgreichen Menschen, sind auch immer krankhaft gestresst, lässt sich nicht auf jene übertragen, die in scheinbar erdrückenden Anforderungen immer noch ihr Lächeln bewahren. Es ist u.a. der Grund, weshalb Menschen, die ihr Herzensprojekt verwirklichen, nach wenigen Stunden Schlaf hochmotiviert wieder zur Tat schreiten können, während andere nach 10 Tassen Espresso immer noch nicht zu bewegen sind.
Das was wir selbst sind, wovon wir selbst tief überzeugt sind, was also unseren innersten Werten entspricht, das tun wir gut. Alles andere ist Kompromiss und wird insbesondere dann, wenn es belastend wird auch zum Prüfstein. |
Sind Werte und leitende Prinzipien mit der inneren Haltung in Einklang, kann eine herausfordernde Phase uns nicht erschüttern. Wenn wir jedoch nicht klar sind, einen inneren Interessen- oder gar Identitätskonflikt haben, dann werden Herausforderungen auch zu Problemen. Und das ist es was ein tiefgehender (Coaching-) Prozess hin zur Selbstführung aufzeigt.
Hauptdarsteller oder Rolle?
In der Auseinandersetzung mit den eigenen Handlungsmotiven, können letztlich innere Gründe für die äußeren Handlungen be- wusst gemacht werden. Dies erreichen wir beispielsweise mit biographiezentrierter Arbeit. Es kann uns einen Zugang zu unseren Werten oder leitenden Prinzipien ermöglichen. Stellen wir uns also bspw. die Wendepunkte in unserem Leben, wie Schulabschluss, Ausbildung/ Studium, erster Beruf, Heirat, Scheidung usw. vor und fragen uns, was uns bewogen hat dies genauso zu machen wie wir es gemacht haben.
Vielleicht helfen auch die folgenden Fragen weiter.
Ein kurzer Impuls:
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Viele Sportler kennen diesen Zustand, ob durch mentales Training bewusst gemacht oder von selbst. Kindern fällt es noch leicht, uns Erwachsenen jedoch oft schwer. Wir haben es gewissermaßen verlernt, fast überall in den FLOW- Zustand zu kommen, wie ihn der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi nennt. FLOW könnte man zusammenfassen als völlige Vertiefung in eine Tätigkeit, bei dem alles andere in den Hintergrund tritt. Wir sind dann hochkonzentriert, fühlen uns innerlich klar und erleben Freude am Tun selbst – unabhängig von äußeren Belohnungen.
Praxisbezug
Menschen die sich z.B. wegen eines inneren Sicherheitsbedürfnisses (z.B. überdurchschnittliches Einkommen, Pension, Kündigungsschutz) für bestimmte Berufe entscheiden, werden wohl kaum den gleich hoch motivierten Job ausüben, sollten diese Sicherheiten wegfallen; oder unglücklich werden, da der tiefere Sinn, das eigene Why fehlt. An dem Punkt sind Anreize gekippt zu Attraktoren.
Ein Beispiel
Soldaten, die sich nur aufgrund von Anreizen für den Beruf entscheiden, statt aus innerer Überzeugung heraus („Ohne das Masterstudium in der Laufbahn hätte ich mich nicht beworben.“), werden vermutlich nicht den gewünschten archaischen Typus eines Kriegers verkörpern, wenn es zählt den Kernauftrag des Militärberufes zu erfüllen. |
Dies und andere Beispiele aus der Praxis zeigen uns oft die eigentlichen Gründe für (berufliche) Entscheidungen- erneut mit individueller und letztlich organisationaler Komponente.
Reflektionsimpuls
Fragen Sie sich: Würden Sie Ihren Job auch für 500 oder 1000 EUR weniger machen? Wie wäre es für Sie, wenn Ihre Beurteilung dieses Jahr etwas schlechter ausfällt? Oder wären Sie enttäuscht, wenn auch nur leicht, wenn die Leistungsprämie dieses Jahr nicht bei Ihnen landet? |
Die Fragen nach (unseren) harten Grenzen ermöglicht häufig einen Zugang zu den möglichen unbewussten Motiven und Antreibern unserer (beruflichen) Entscheidungen. Ausbildungen, Berufe, Beziehungen, Karrieren aus bestimmten Motiven heraus zu wählen ist wohl menschlich. Genauso menschlich kann dies aber auch bewusst gemacht und geändert werden, wenn wir feststellen, gewissermaßen „im falschen Film“ zu stecken.
Ich habe dies sehr häufig in meiner Arbeit als Trainer, Ausbilder und Vorgesetzter erlebt, wie Menschen in ihren Rollen unglücklich, nicht authentisch waren und daher auch nicht die Leistung abrufen konnten die sie selbst oder die Organisation wollte. Wir merken also erneut, es hat immer einen Einfluss auf das Umfeld, in dem wir uns bewegen. Es sind die systemischen Wechselwirkungen. Und wenn wir nicht brennen für etwas, weil es uns nicht (mehr) entspricht, hat dies als Entscheidungsträger weitreichende Folgen auf uns und das (systemische) Umfeld.
„In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.“
– Augustinius
Wenn also Denken/ Fühlen, Handeln und damit letztlich unser Leben, in Deckung sind, kann man von echter Authentizität sprechen, wir „brennen“ wahrhaft für eine Sache, geben uns ihr hin, wie Augustinius häufig in Führungs- Seminaren bemüht wird.
Eliteeinheiten selektieren das Brennen oder Nicht- Brennen meist über tiefgehende Assessments, zahlreiche Hürden und eine harte Ausbildung. Im Spitzensport ist diese Selektion, je nach Umfeld, schon individueller. In vielen Bereichen von Unternehmen oder Organisationen ist dies natürlich anders. Eine deutlich stärkere Betrachtung der Stimmigkeit in Bezug auf die Funktion oder Rolle hätte aber auch hier deutlich stimmigere und langfristigere Leistungsergebnisse, sowie einen geringeren Aufwand – individuell und für die gesamte Organisation.
Fazit
„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“
– Theodor Adorno
Selbstführung, sich selbst in Führung zu bringen, kann also auch bedeuten, dass wir erkennen, das eine jahrelang ausgefüllte Rolle nicht uns selbst entspricht. Vielleicht stellen wir fest, dass es eben stimmiger ist, eine andere Tätigkeit auszuüben. Diese Erkenntnis kann hart sein, weshalb Reflexion häufig gescheut wird. „Nichts ausgraben was lange gut unter der Erde lag.“ Aber wie bei Unkraut, sollte es eben mit der gesamten Wurzel aus der Erde geholt werden. Individuell als auch organisational ist fehlende Reflektion dabei oft Ausdruck mangelnder Fehlerkultur, Denken in richtig – oder- falsch- Kategorien oder vertikalen Weltbildern.
Selbstgeführte Menschen handeln authentisch, also stimmig, echt und brauchen daher keine dauerhafte Disziplin (Blut, Schweiß, Tränen), kein ständiges Lob oder externe Bestätigung (Anreize). Sie sind von innen heraus motiviert und verkörpern ihre Ideen und Ideale und begeistern damit andere.
Es ist demnach nicht nur wichtig den Unterschied zwischen Perfomance Optimization und Selbstführung als Individuum zu kennen. Da ein nicht authentischer Mensch keine außergewöhnliche Leistung erbringt, wäre es individuell (z.B. Burnout, Sinnverlust, Depression) und organisational (geringe Leistung, passive Haltung, Personalprobleme) eine enorme Ressourcenvergeudung, wenn wir fleißig optimieren ohne den dahinterliegen Sinn, unser Why, zu kennen. Selbstführung ist eben mehr als nur Selbstoptimierung.
Quellen
- Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The psychology of optimal experience. Harper & Row.
- Hüther, G. (2004). Die Macht der inneren Bilder: Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Vandenhoeck & Ruprecht. Google Books Vorschau
- Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. Farrar, Straus and Giroux. APA PsycNet Eintrag
- Matthews, M. D., & Schnyer, D. M. (Eds.). (2019). Human performance optimization: The science and ethics of enhancing human capabilities. Oxford University Press. Oxford Academic Buchseite
- Sinek, S. (2011). Start with why: How great leaders inspire everyone to take action. Penguin Books.
- Whitmore, J. (2002). Coaching for performance: GROWing people, performance and purpose. Nicholas Brealey.
[1] vgl. Hüther, 2004