Supervision: Profis haben Support…

Supervision: Adlerperspektive

…und Amateure versuchen alles allein. Führungskräfte und Menschen in  Einsatzberufen stehen täglich unter Druck. Sie treffen schnelle Entscheidungen, tragen Verantwortung für Leben und Sicherheit – und das oft unter extremen Bedingungen. In solchen Berufen ist es nicht nur sinnvoll, sondern essenziell, regelmäßig innezuhalten, das eigene Handeln bewusst zu reflektieren und gezielte Entlastung herbeizuführen. Professionelle Unterstützung dazu zu holen ist präventiv und proaktiv. Damit stärkt es unsere Resilienz, bevor sie gebraucht wird. Doch leider hält sich in vielen Köpfen hartnäckig das Vorurteil: Wer Unterstützung sucht, sei schwach. Dabei ist das Gegenteil der Fall.

Supervision: Ein professionelles Werkzeug, kein persönliches Defizit

Wir kennen es. Jeder Athlet im Spitzensport hat einen Kreis von handverlesenen Experten um sich herum: verschiedenste Trainer, Mediziner, Physiotherapeuten usw. Im Fußball würden viele den Nationaltrainer wohl verbannen, wenn nach einem Spiel keine Auswertung (Reflektion) stattfinden würde…

In der Politik oder im Management ist es nicht anders. „Physische“ Experten weichen diversen Beratern. Der Blick von oben und der Impuls von außen ist notwendig. Engstirnig „in der eigene Suppe zu kochen“ bringt eben doch nicht voran.

Blick und Impuls von außen erreichen wir durch Supervision bzw. Coaching, je nachdem welches Wording verwendet wird.

Supervision ist dabei eine strukturierte Form der beruflichen Reflexion. Als besondere Beratungsform bietet sie Raum, um Erfahrungen zu verarbeiten, Konflikte zu besprechen und die eigene Rolle im Team zu klären. Besonders in Berufen mit hoher emotionaler Belastung ist sie ein zentraler Baustein für langfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

 

 

Klarer ausgedrückt:

Was mental verarbeitet und integriert wird, raubt keine Kapazität für die nächsten Aufgaben und erhält damit langfristig die Einsatzfähigkeit.

 

Orientieren wir uns am bekannten Kapazitäten- Modell der Flugpsychologie (nach Richter), dann stellen wir erneut fest: was innere Kapazität frisst, hemmt den vollen Aktionsradius, die volle Ressourcenaktivierung. Ähnlich einem nicht aufgeräumten Zimmer: unter nie aufgeräumten Gegenständen und angesammelten Müll und Staub finden wir die entscheidenden Gegenstände im entscheidenden Moment nicht.

Daher ist Supervision (Coaching) ein bewährtes Mittel in menschenzentrierten Berufen, in denen mentale Kapazitäten berufsimmanent in „Beschlag“ genommen werden. Ob wir aufräumen oder in unserer inneren Unordnung ersticken, ist eine Frage der professionellen Haltung.

Eine Studie der Universität Freiburg bspw. zeigt, dass über 80 % der befragten Fachkräfte Supervision als hilfreich für ihre berufliche Entwicklung und psychische Stabilität bewerten. Auch die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv) betont, dass Supervision nicht nur zur Qualitätssicherung beiträgt, sondern auch die Resilienz von Mitarbeitenden stärkt.

 

Einsatzberufe: Zwischen Verantwortung und Belastung

In Rettungsdienst oder Notfallmedizin ist die psychische Belastung besonders hoch. Laut einer Arbeit der Medical School Hamburg (2023) leiden viele Einsatzkräfte unter chronischem Stress, Schlafstörungen und emotionaler Erschöpfung. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Supervision ein wirksames Mittel sei, um diesen Belastungen präventiv zu begegnen – und dass sie bislang viel zu selten genutzt werde.

Mitunter ist sogar das Gegenteil der Fall: Einsatzkräfte suchen keinen Psychologen oder anderweitigen professionellen Support. Meist nehmen sie diesen nicht in Anspruch aus Angst vor Akteneintragungen, oder der Beamtenstatus/ die ärztliche Zulassung stehen bei „psychischen Problemen“ auf dem Spiel. Oder eben die Ansicht der Unverwundbarkeit hindert den präventiven mentalen Support. Frühzeitig zu agieren wäre da smarter, bevor man gezwungen ist zu reagieren. Einsatzpsychologie/ -nachsorge kann dabei unterstützend wirken. Nur nehmen viele diesen Support, weil aus der Organisation kommend und damit systemimmanent, ungern an. Fachlich und menschlich nachvollziehbar.

Führungskräfte gleichermaßen, achten häufig nicht auf ihren eigenen Zustand, sind entweder zu sehr aufgaben- oder zu sehr mitarbeiterzentriert (Außenorientierung). Was vergessen wird, sind sie selbst (fehlende Innenorientierung). „Mit Vorbild weiter machen“ auch wenn es hart wird, geht eben solange gut, bis die Fehlerrate steigt, die Zufriedenheit und Leistung sinkt, oder das Notaus kommt. Was für ein Vorbild…

 

Moment mal, begriffliches Feintuning – oder Rebranding?

Man kann durchaus argumentieren, dass „Supervision“ oft einfach nur das ist, was im sozialen, therapeutischen oder öffentlichen Sektor als Coaching bezeichnet würde – nur mit einer Prise akademischer Gravitas und einem traditionsreichen Anstrich. Supervision klingt nach Tiefe, Reflexion und Methodenintegration. Coaching dagegen nach Zielorientierung, Effizienz – und gelegentlich auch mal nach Scharlatanerie. Wobei Super- Vision, also das Sehen aus der Adlerperspektive und Über- Blick verschaffen nicht immer in die Tiefe gehen muss, aber durchaus Ziel sein kann. Die Grenzen zwischen Coaching, Therapie, Beratung und Supervision sind dabei fließend, sodass selbst Fachleute manchmal ins Stolpern geraten, wenn man sie um eine saubere Trennlinie bittet.

Aber was passiert wirklich im Raum? Oft: dieselben Interventionstechniken. Beide Formate bedienen sich meist systemischer Fragestellungen, nutzen Methoden wie zirkuläres Fragen, Ressourcenorientierung oder Visualisierungen. Viele Supervisoren bieten auch Coaching an – und umgekehrt.

 

Das Etikett sagt nicht alles

Supervision wird meist durch Organisationen beauftragt, ist eingebettet in Qualitätsmanagement oder Gesundheitsförderung – das heißt: sie hat häufig einen institutionellen Anker.

Meiner Ansicht nach sind, je nach Ausbildung/ Erfahrung/ Stil, Supervision und Coaching 2 Seiten derselben Medaille wie es so schön heißt.

Supervision wird als „seriöser“, „berufsbezogener“ oder gar „therapienaher“ wahrgenommen, obwohl viele Coachings inhaltlich denselben Tiefgang erreichen.

 

Was sagt die Forschung?

Inhaltlich sind die empirischen Studien oft gar nicht so eindeutig. Eine Metastudie der Universität Kassel (2020) hat z. B. festgestellt, dass es keine konsistenten Wirkungsunterschiede zwischen Coaching und Supervision auf psychologische Parameter (Stressreduktion, Rollenklarheit etc.) gibt – wohl aber unterschiedliche Erwartungen und Wahrnehmungen seitens der Teilnehmenden.

Kritisch formuliert: Die Unterschiede sind teils traditionell, teils institutionell gewachsen – aber selten substantiell. Am Ende geht es darum zu reflektieren und was daraus gemacht wird: entwickeln oder stagnieren?

 

Reflexion als Führungsqualität

Berufliche Reflexion ist nicht nur ein individuelles Werkzeug, sondern auch ein Führungsinstrument. Führungskräfte, die regelmäßig reflektieren – sei es im Einzelcoaching oder in Teamsupervisionen – treffen fundiertere Entscheidungen, kommunizieren klarer und fördern ein gesundes Arbeitsklima. Das wiederum führt zu leistungsfähigeren Teams und stressresistenten Mitarbeitern.

Laut einer Untersuchung der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie (2020) ist ein stabiles Team mit guter Kommunikation der wichtigste Schutzfaktor gegen psychische Belastungen. Supervision trägt maßgeblich dazu bei, diese Teamstabilität zu fördern.

Oder wie einer meiner Mentoren im Militär einmal sagte: „Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden.“ Und im belastungsintensiven Umfeld war dieser Grundgedanke in Team- oder Lageauswertung oder Fehlermanagement essentiell.

Das verwundert nicht. Aber auch die Führungskräfte selbst unterschätzen anfangs häufig, wie wichtig eine gezielte regelmäßige Reflektion und mentale Ent- Lastung für die Leistungsfähigkeit UND Gesundheit ist.

 

Denkanstoß:

Welcher Handwerker würde seine Werkzeuge nach dem Gebrauch achtlos liegen lassen und wild im Werkzeugkoffer herumpurzeln lassen?

Wenn viel Kopfarbeit geleistet wird, oder schwerpunktmäßig auch emotional ver- arbeitet wird, warum sollten wir da unsere Werkzeuge nicht auch pflegen? Genau das ist es: wir sind nur so gut in unserem Handwerk, wie sehr wir unsere eigene Arbeit wertschätzen und professionell angehen. Das ist im Außen sichtbar. Niemand würde einem Handwerker vertrauen, der seine Werkzeuge zum Feierabend lieblos in die Ecke wirft, nicht reinigt und nur die billigsten Baumaterialien verwendet. Also fragen wir uns lieber, was ist unser Handwerk und wie pflegen wir unsere Werkzeuge? In unserer verdichteten und schnelllebigen (Arbeits-) Welt ist das essentiell. Und wer viel mit Kopf und Herz arbeitet, der sollte diese Werkzeuge pflegen…

 

Der Mythos der Unverwundbarkeit

Meine Erfahrung zeigt: Ärzte und Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Polizisten, Führungskräfte und Entscheider sind keine „außergewöhnlichen Menschen“. Nur ihre Berufsrealität ist außer- gewöhnlich – sie lässt sich schwer mit anderen Berufen vergleichen. Warum also hält sich das Vorurteil, dass nur „Schwache“ Support brauchen? Ein Grund liegt in der tradierten Vorstellung von Einsatz- und Führungskräften als „unerschütterliche Helden“. „Wenn wir nicht stark sind, wer soll es sonst sein?“ Doch diese Vorstellung ist nicht nur überholt, sondern gefährlich. Sie verhindert, dass Menschen sich Unterstützung holen – und erhöht sogar das Risiko für Burnout, Depressionen oder sogar posttraumatischen Belastungsstörungen. Und damit ist genau das Gegenteil eingetreten, was ursprünglich beabsichtigt war. Erneut können wir uns nun also die Frage stellen „Wenn wir nicht stark sind, wer soll es sonst sein?“…

 

  • Keine Reflektion – keine Unterstützungsmöglichkeit
  • Keine Unterstützung – keine Bewältigung/ Weiterentwicklung
  • Keine Bewältigung/ Weiterentwicklung – Stagnation und Risiko für Burnout, Depressionen oder sogar posttraumatische Belastungsstörungen
  • ergo keine langfristig belastbaren Verantwortungsträger

 

Die Realität ist: Wer reflektiert, schützt sich selbst – und damit auch andere. Denn wer klar agiert, statt in einem unaufgeräumten (inneren) Zimmer, kann auch sinnvolle Entscheidungen treffen, wenn es drauf ankommt. Und sind wir mal ehrlich: in belastungsintensiven Umfeldern kommt es immer drauf an. Wer sich also Unterstützung holt, handelt nicht aus Schwäche, sondern aus Verantwortung und damit letztlich aus Professionalität für die Aufgabe heraus.

 

Supervision als Teil der Organisationskultur

Damit Supervision/ Coaching wirksam sein kann, muss es Teil der Organisationskultur werden. Das bedeutet: Es darf nicht als „Notlösung“ bei Krisen verstanden werden, sondern als kontinuierlicher Bestandteil professionellen Handelns. Proaktiv, präventiv und begleitend. Es verhält sich gewissermaßen wie mit der körperlichen Fitness: wer keine Klimmzüge macht, wird auch nicht die Mauer hochklettern können, wenn Nachbars Hund hinter einem her ist…

Diese präventive und begleitende Herangehensweise ist entscheidend wie viele Einsatzkräfte/ Führungskräfte langfristig sicher ihrer Verantwortung gerecht werden können, oder wann sie ausfallen und selbst zum „Problemfall“ werden, wo sie doch eigentlich schützen und supporten sollen.

Einige Organisationen gehen hier allerdings schon voran. So ist Supervision im Hospiz- und Palliativbereich mittlerweile verpflichtender Qualitätsindikator. Gut so!

Auch die Polizei NRW hat in Pilotprojekten mit externer Supervision gearbeitet – mit positiven Rückmeldungen von Einsatzkräften und Führungspersonal. Die Ergebnisse zeigen: Wenn Supervision professionell eingeführt und begleitet wird, steigt die Zufriedenheit, sinkt die Fluktuation – und die Einsatzfähigkeit bleibt langfristig erhalten. Und das sollte doch eigentlich im Interesse dieser Organisationen liegen, oder?

 

Fazit: Stärke zeigt sich im Dialog, nicht im Schweigen

 

„Wir haben nie gelernt über Gefühle zu lernen.“

 

In einer Welt, in der Einsatzkräfte täglich an ihre Grenzen gehen, ist es höchste Zeit, umzudenken! Supervision/ berufliche Reflexion/ Coaching und gezielte Entwicklungsmaßnahmen sind keine „weichen Themen“, sondern harte Faktoren für Qualität, Gesundheit und Professionalität. Wer sich Unterstützung holt, zeigt nicht Schwäche – sondern Mut, Weitsicht und Führungsstärke.

Denn: Profis haben Support-Teams. Amateure versuchen alles allein.

 

 

Dieser Artikel ist ebenfalls erschienen im Magazin von Coachverzeichnis.

Quellen:

Literatur

  • Estrada Pereira, L. (2025).
    Die Implementierungen von Supervisionen in der Polizei Nordrhein-Westfalen.
    In: K. Seidensticker (Hrsg.), Fehlerkultur in der Polizei (Kapitel 22). Springer Fachmedien Wiesbaden.
  • Kottowski, T. & Schophaus, M. (2024).
    Polizeiliche Berufsrollenreflexion im Supervisionsdiskurs.
    Zeitschrift für Beratung und Supervision, HSPV NRW & Universität Bielefeld.
  • Wächterowitz, F. (2017).
    Berufsrollenreflexion in der Polizei – Aufgabe der Ausbildung oder lebenslanges Lernen?
    Masterarbeit, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.

Weiterführende Links:

Aus dem polizeilichen Kontext

 

Aus dem Bereich des Militärs/ militärsicher Führungskräfte

 

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